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Stefan Hirsch

UNMISSVERSTÄNDLICHE ZEICHEN


Eine präzis gedanklich und künstlerisch umrissene Idee, letztlich einen ausgeprägten Personalstil im Bereich der Farbfeldgestaltung aus der Sicht der Künstlerin als Spleen zu bezeichnen, ist eine wohl augenzwinkernde Untertreibung. Ein Spleen ist nach lexikalischer Definition eine durchaus angenehme, liebenswürdig eigensinnige Eigenschaft. Er hat etwas meist ungewollt Selbstironisches, auch ein wenig Obsessives, jedenfalls ist er gesellschaftlich geduldet, insgeheim aber tief bewundert: Spleeniges – besonders in der Kunst – ist unmissverständliches Zeichen für unbeirrbaren Willen auf Individualität im Kunstbetrieb, für Auflehnung gegen sein Celebritätsprinzip, für die Abgrenzung gegen modischen mainstream und stilistischen Effektbluff.

Ihren Spleen in Bezug auf die im Titel der Ausstellung gewählten Begriffe Symmetrie und Asymmetrie in Mustern und Strukturen focussiert die Künstlerin deshalb auf ein strenges, grafisches, gekonnt formbezogenes Spiel: Ein überlegenes Spiel einerseits gegen das z.B. in der jüngeren Architektur ebenso verbreitete wie verdrängte psychologische Phänomen der Rasterneurose, welches die zunächst zwanghaft in alle Richtungen ausufernde Tendenz der Achse, des Ornaments und des Rapports - bedingt durch die permanente Wiederholung von Mustern aller Art – rahmt, eingrenzt, bändigt und gerade dadurch vom Zwang befreit. Andererseits ist im Spleen auch die Auseinandersetzung mit dem spirituellen Phänomen der Meditation einbeschlossen: Gemeint ist die Meditation, die sich geduldvollem handwerklichen Tun hingibt, um gerade durch die Versenkung in eine sich entschleunigende Zeit der Tiefe von Gedanken und kreativen Ideen Raum zu geben. Dem Betrachter widerfährt beim Nachvollziehen der grafischen Strukturen etwas, das dem in sich ruhenden Erlebnis von Mantra und Litanei (im nicht abwertenden Sinn) nahekommt.

Die Entschleunigung im Wahrnehmen dieser Strukturen lässt sich aus ihrer Herkunft aus den Techniken des geschnittenen Papiers verstehen. Streifen schneiden etwa und sie künstlerisch wirksam zusammenzusetzen ist eine langwierige und eine enorme Genauigkeit erfordernde Tätigkeit. Was beim Tun und beim Betrachten an Gedanken ausgelöst wird, gründet in einem Denken der Künstlerin, das – schon früh seit den Zeiten ihrer Ausbildung ausgeprägt – um den Zusammenhang zwischen Sprache und Zeichen, Sprache und Zeichnung, Sprache und zeichenhafte Bildsprache kreist.

In der späteren Hinwendung zum Einband in der Kunst der Buchgestaltung – das zwischen Kunst und Kunsthandwerk frei flottierende Metier, in dem Mechthild Lobisch schließlich buchstäblich groß geworden ist – hat sich dieses Denken materialisiert und pragmatisch funktionalisiert. Der Einband hat die Funktion Texte zu rahmen, diese atmosphärisch passend und bändigend einzubinden in die Gesamtidee, die in einem Buch steckt, sie quasi durch eine grafische Unterbetitelung für den Leser in ihrem übergeordneten, zusammenfassenden Inhalt sinnlich – also optisch und haptisch – erfahrbar zu machen. Nicht zuletzt wird dadurch das Wesen von Texten in ihrem ursprünglichen bildhaften und eigentlichen Sinn als Gedankengewebe hervorgehoben. Selbst in der weitgehend textlosen, aber thematisch präzise ausgerichteten Kategorie des Bildbandes kommt dem Einband diese Aufgabe zu.

Die Schriftkultur in ihrer Entwicklung von der Handschrift über die Inkunabeln bis zum modernen Buchdruck war und ist immer noch abhängig von der technischen Bedingtheit, dass Texte nach ihrer Vervielfältigung auf die verschiedenen Trägermaterialien nicht mehr verändert oder korrigiert werden können. Diese technische Endgültigkeit verlieh Texten eine gewisse Magie quasi ewiger Gültigkeit, ja sogar Heiligung. Die Vorstellung von ein für allemal aus Konglomeraten destillierter und fixierter heiliger Schrift ist jedoch seit dem Gebrauch elektronischer Medien völlig obsolet geworden. Fixierbar und durch die Vernetzung weltweiter Server nicht mehr tilgbar ist jedoch neuerdings das Protokoll der permanenten Veränderung, Verwandlung und Abfälschung von Zeichen aller Art, die dadurch einem stetigen Prozess der Entheiligung unterworfen sind.

Der Bucheinband als Textrahmung und grafisch abstrahierte Textinterpretation ist deshalb in die bibliophile Nische gedrängt worden – eine dramatische zeitgeschichtliche Umwälzung, die im Werk von Mechthild Lobisch spannungsreich ablesbar ist: Keineswegs hat Mechthild Lobisch den Computer als bedauernswerte Entwicklung des Verfalls des Handwerklichen, des Kunsthandwerklichen oder der Kunst an sich begriffen, im Gegenteil, sie hat ihn als logische Weiterentwicklung althergebrachter Werkzeuge wie Streicheisen, Stempel oder Rollen, entweder in ihre Arbeiten integriert oder dessen gestalterische Möglichkeiten im Bereich grafischer Strukturen als nunmehr selbständige Kunstform herausgearbeitet. Der Verführung zu künstlerischer Beliebigkeit, die sich durch die millionenfachen Optionen moderner Grafikprogramme ergibt, ist Mechthild Lobisch insofern nie erlegen, als sie sich äußerster Strenge in der Auswahl, Zusammenstellung oder Überschneidung reduzierter grafischer Elemente unterwarf und dadurch den geistigen Kern ihrer jeweiligen formalen Bedeutung durch serielle Varianten freilegt. Die künstlerische Gültigkeit dieser grafischen Formen entsteht zwingend erst durch den fixierten und unveränderbaren, farbgenauen Plotter-Ausdruck auf ebenso streng ausgewähltes Trägermaterial. Diese endgültige Aussage mittels perfektem Druck auf edle Papiere knüpft an die Werthaltigkeit der klassischen Einbandkunst an und stellt so die Tradition im Sinn des Erhaltens der künstlerischen, sich immer wieder erneuernden und jeder Verkrustung sich widersetzenden Inspiration sicher.

Die frappierende Gültigkeit der künstlerischen Aussage im Werk von Mechthild Lobisch steht in krassem Gegensatz zur buchstäblich oberflächlichen Flüchtigkeit der flimmernden Bildschirmschonerkunst, obwohl sich beide Richtungen desselben Werkzeugs bedienen, aber letzterer nicht nur die Intention der Gültigkeit, sondern gewissermaßen auch der Kick durch einen symmetrisch-asymmetrischen Spleen fehlt. Mechthild Lobisch greift nie auf vorgefertigte grafische Elemente in Computerprogrammen zurück – im Wissen, dass ihre künstlerische Handschrift durch die Montage digitaler Applikationen verloren gehen würde. Was sie dagegen gerne verwendet und ins Nebelige verfremdet, sind digitale, meist bewusst unscharf aufgenommene Selfies aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt, Streifenstrukturen von Fensterjalousien oder gegen das Licht gestellte Papiere mit Fettflecken darauf, die besondere Reflexe erzeugen oder Schatten, die Assoziationen zu Köpfen im Profil wecken, Möbel, die nur noch ihre Umrisse spüren lassen. Alle diese Variationen ein- und desselben Themas, nämlich ihrer Suche nach der Gültigkeit der Form – oder besser – von Form, die Mechthild Lobisch sichtlich augenzwinkernd und bescheiden mit Spleen betitelt, beruhen auf dem differenzierten geistig künstlerischen Hintergrund ihres Werdegangs. Dieser verleiht jener Form – die so oft als absolut, d.h. abgelöst von jedwedem Inhalt verstanden wird – die weiterführenden Ebenen, die in die Tiefe des Geistes weisen und damit dennoch Inhalt vermitteln.

 




Reihung I und II Pigmentdruck auf Aquarellbütten 52 x 92 cm 2014

 

Stapelschichten Pigmentdruck auf Aquarellbütten 100 x 90 cm 2014


Lapidar I bis IV Pigmentdruck auf Aquarellbütten 34 x 38 cm 2015


Kleines Rot Pigmentdruck auf Aquarellbütten               Kleines Blau Pigmentdruck auf Aquarellbütten
50 x 70 cm 2015
                                                                    50 x 70 cm 2015

 


Kleines Hell Pigmentdruck auf Aquarellbütten 50 x 70 cm 2015

 


Großes Blau Pigmentdruck auf Aquarellbütten 100 x 70 cm 2015

 


Großes Rot Pigmentdruck auf Aquarellbütten 100 x 70 cm 2015

 


Großes Hell Pigmentdruck auf Aquarellbütten 100 x 70 cm 2015

 

 



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